Veronika Mantel

Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Ich war zwar Genossin, bin auch aus Überzeugung in jungen Jahren in diese Partei eingetreten, aber ich habe in meiner beruflichen Entwicklung als Abteilungsleiter Investition bei uns im Betrieb halt schon gemerkt, daß ein Unterschied zu machen ist zwischen der Interessenvertretung, die die Kollegen von mir erwarteten und den staatlichen Planungsaufträgen. Hier gab es halt immer Widersprüche. Zwischen der theoretischen Planung der Volkswirtschaft und der Praxis, die wir bei uns im Baubetrieb erfahren haben, sind derartige Widersprüche und Differenzen aufgetreten, daß ich gesagt habe, ich möchte versuchen, in dieser Partei Veränderungen herbei zu führen, die mir aber in der Partei unmöglich erschienen. Von dieser Erkenntnis habe ich mich leiten lassen und gedacht, auf der gewerkschaftlichen Strecke könnte ich vielleicht versuchen, dort mehr unterzubringen. Ich habe mich mehr auf gewerkschaftliche Arbeit als auf Parteiarbeit verlegt.
Vielleicht haben meine Erlebnisse, die ich in Ungarn hatte zu dieser Zeit, mich fester geprägt. Ich hatte am Jahresanfang `89 erstens eine Reise nach Moskau gemacht. In Moskau habe ich im Januar erlebt, daß sich in der Sowjetunion grundlegend etwas geändert hat. Es war für mich unwahrscheinlich, daß in Moskau auf den Straßen, da gibt es eine besondere Straße, sie heißt „Rabot“, Straße der Arbeit, daß dort praktisch so eine Art Diskussionsrunden entstanden sind, mit Rednern, die sich einfach hingestellt haben. Es war eine absolute Redefreiheit. Weder eine Milizkontrolle war dort noch irgend andere Leute. Einer, der seine Meinung kund tun wollte, ich habe das selber erlebt, hat sich auf eine Holzkiste gestellt und dort gesprochen. Die Leute, die zuhören wollten, sind stehen geblieben und haben sich das angehört. Das war für die Sowjetunion einmalig. Diese Perestroika-Bewegung hat damals schon seine Spuren hinterlassen in der Sowjetunion. Das war für mich ein entscheidendes Erlebnis. Bei uns waren Gorbatschows Schriften verboten. Ich habe mir Reden von Michail Gorbatschow rüber geschmuggelt, die ins Deutsche übersetzt waren. Die habe ich noch zu Hause, auch die verbotene Nummer des „Sputnik“. Diese ganze Sache – Stalin und deutsche Kommunisten, ich habe sie im Handgepäck geschmuggelt. Wenn ich es in den Koffer gepackt hätte, wäre es weg gewesen, unsere Koffer sind gefilzt worden, aber auf deutscher Seite. Dann hatte ich eine Reise beantragt nach Budapest, Ungarn. Da war zwei Tage, bevor die Reise los ging, nicht klar, ob ich oder der Rest der Reisegruppe überhaupt die Genehmigung bekommen, weil das nämlich gerade die letzten 14 Tage im August waren und da war diese ganze Sache mit der Grenzöffnung über Ungarn. Deshalb war es absolut nicht sicher, ob wir überhaupt die Visa kriegen. Aber es hat doch geklappt. Wir sind rüber geflogen und – nur mal zur Belustigung – unsere Reiseleiterin war verpflichtet, früh und abends in Berlin anzurufen und zu melden, wer von unserer Reisegruppe sich abgesetzt hat oder nicht. Es hat sich gleich am ersten Tag ein junges Ehepaar abgesetzt. Bei uns in den Publikationen haben sie uns eingeredet, daß alle, die über Ungarn abhauen, dies Leute sind, die wir in der DDR absolut nicht mehr gebrauchen können, Asylanten oder irgend welche subversiven Elemente, wie immer im Fernsehen gesagt wurde. Ich bin dann mal in diese Lager auf der Marieninsel gegangen in Budapest und habe gedacht: Du musst Dich doch mal mit solchen Leuten unterhalten und wissen, aus welchen Gründen oder warum sind das solche Leute? Ich habe festgestellt, daß es eigentlich normale Leute waren aus allen Schichten, ob das Intellektuelle waren, Doktoren oder Professoren oder irgendwas. Irgendwo hat mir dieses Budapest ein wahnsinniges Gefühl der Freiheit gegeben. Wenn ich mir vorgestellt habe, ich hätte mit meinem Personalausweis mich auf einen Dampfer der Donau setzen und nach Wien schiffen können, also, das war ungeheuer. Da habe ich das erste Mal empfunden, was es eigentlich heißt, es ist blöde, aber ich hatte es für mich so empfunden, frei zu entscheiden, wohin Du fahren und was Du machen willst.
Im FDGB war damals noch die alte Mannschaft. Es waren auch noch die alten Vorsitzenden da und es war schon aufrührerisch, als ich im Januar gesagt habe, wir nehmen jetzt mal Verbindung mit Gewerkschaften aus den Alt-Bundesländern auf. Mit Beschluss – es war damals ein Beschluss vom Kreisvorstand MSK. Ich hatte die Idee geäußert und gefragt, wie sie sich dazu stellen, wenn wir jetzt einen Erfahrungsaustausch aufnähmen. Das ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Ich hatte mir über die IG Bau-Holz die Adresse gesucht und habe zur ÖTV nach Hof geschrieben. Weil ich mich mit den Gewerkschaften aus den alten Bundesländern beschäftigt hatte, war mir klar, daß das MSK eine ähnliche Struktur wie das MSK hatte. Das ist die Gewerkschaft , wo ich sagen kann, daß sie vom Aufgabengebiet her gleich lag und wo man einen Erfahrungsaustausch aufbauen konnte. Diesen Beschluss – mit dem Rückhalt meines Kreisvorstandes – habe ich dann umgesetzt. Ich musste immer noch vorsichtig sein, ich musste Beschlüsse haben, weil ich konnte ja nicht losgelöst von den Funktionären des damaligen FDGB einfach allein das machen, sonst wäre ich vom Fenster weg gewesen.
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Veronika Mantel erlangte per Fernstudium den Abschluss als Diplom-Ingenieurin für Verfahrenstechnologie. 1985 ging sie zum VEB Kreisbaubetrieb Plauen, bei dem sie als Abteilungsleiterin im Bereich Investition arbeitete. Bereits seit Anfang der 1970er Jahre engagierte sich Mantel aktiv für die Gewerkschaft. 1986 wurde sie zur ehrenamtlichen Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaftsleitung in ihrem Betrieb gewählt. Durch diese Funktion war sie auch Mitglied im Kreisvorstand der IG Bau-Holz.
Unter dem Eindruck der Ereignisse des Umbruchjahres 1989 trat sie im Oktober aus der SED aus. Seit Dezember 1989 war sie Geschäftsstellenleiterin der Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und der Kommunalwirtschaft (MSK) in Plauen, dadurch gleichzeitig auch Mitglied des FDGB-Kreisvorstands. Im November 1990 erhielt Mantel eine Anstellung bei der ÖTV-Kreisverwaltung Gera und baute in der Folgezeit die Nebenstelle Zeulenroda auf. Später war sie Leiterin des ÖTV-Beratungsbüros Aue/Schwarzenberg und seit der Bildung von ver.di beim Ortsverband Plauen tätig.

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