Ruth Köhn

Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
Video 1 – 3:53
Arbeitsschutzi
Arbeitslosigkeiti
Bildungi
Nationalsozialismusi
Gewerkschaftsjugendi
Video 2 – 4:36
Betriebsrati
Betriebsverfassungsgesetzi
Betriebsversammlungi
Tarifverhandlungi
Tarifvertragi
Video 3 – 3:59
Unternehmeni
ALG I und ALG IIi
Arbeitslosigkeiti
Ja, und dann hieß es wieder: Was mach ich dann? Inzwischen war meine … eine Tante bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten. Sie hatte auch einen dieser jüdischen Onkel geheiratet und war ja Witwe. Und durch einige politische Beziehungen ist sie zur Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten gekommen, die eigentlich auch alle Leute aufnahm, die verfolgt waren. Sozialdemokraten, die verfolgt waren während der Hitler-Zeit oder Gewerkschafter, die in der Nazi-Zeit verfolgt waren, sollten als erste wieder arbeiten können bei den Gewerkschaften und auch für den Aufbau sorgen. Sie war, nun ja, sag ich jetzt mal, nur 'ne Stenotypistin, also Sekretärin des Vorsitzenden, des damaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten in Berlin, aber immerhin hatte sie ja nun auch gleich viele Leute kennengelernt und brachte mich in einer Süßwarenfabrik unter. Da habe ich dann gearbeitet und kam dann sofort zu unserer Gewerkschaftsjugend, fand das phantastisch, weil man dort nicht nur Gruppenabende hatte, sondern auch Lehrgänge, wo man sich weiterbilden konnte. Für mich kam auch die Erkenntnis, dass Weiterbildung und Bildung überhaupt das Wichtigste ist. Ich habe auch späterhin immer daran gedacht, wie eigentümlich es doch war, dass ich ein Abitur hatte und alle Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften hatten nur einen normalen Abschluss. Und da fehlten denen ja auch Kenntnisse. Und ich merkte auch, dass sie sich manchmal gar nicht wohlfühlen mit der mangelhaften Ausbildung und Bildung, die sie hatten. Sie hatten einen Fachberuf, aber nicht das was man auch in diesem Bereich wissen musste über die Rechtssituation. Wir hatten ja im Moment noch gar keine richtigen Gesetze. Man wusste gar nicht, worauf man sich berufen kann, aber man musste doch irgendwelche Instrumente schaffen, das heißt, es war gar nicht so einfach, sich neu zu orientieren. Es musste alles neu gemacht werden – die Krankenversicherung, die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die Unfallschutzversicherung. Das Bürgerliche Setz... Gesetzbuch musste umgearbeitet werden. Ein Arbeitsschutz, Mutterschutz, alles das waren Fragen, die waren ja … da war null. Da war gar nichts. Das was die Nazis gemacht hatten, war zwar da, wurde aber durch die Kontrollratsbestimmungen ja zunächst größtenteils außer Kraft gesetzt und dafür musste etwas neu gemacht werden. Für die betriebliche Vertretung gab es ein Kontrollratsgesetz Nr. 20, worauf sich dann die Kollegen im Betrieb berufen konnten. Aber sie waren immer noch relativ nicht gut genug geschult, um alles durchsetzen zu können. Es war vielleicht mehr ein Glücksfall, dass die Unternehmer ein wenig Angst hatten in Berlin, was wird denn aus unseren Betrieben. Werden wir eventuell rausgeschmissen? Wird hier eventuell ein kommunistisches System sich entwickeln, wo wir keine Chance mehr haben, unsere Betriebe zu behalten? Und sie waren deshalb vielleicht etwas gesprächsbereiter für die Betriebsvertretungen als das späterhin der Fall war. Es war eine ... eine offene Zeit. Man hatte sich noch bemüht, miteinander zu sprechen und das habe ich also auch erkannt und hab auch schon als Jugendliche gedacht, man muss etwas tun für die Bildung und habe auch dann mich sofort eingesetzt, Lehrgänge für unsere Jugendlichen zu machen. In Rupenhorn wurde ein... eine Villa von den Engländern genutzt für Bildungslehrgänge und so boten sie auch Jugendlehrl... lehrgänge an und hatten auch Referenten zur Verfügung, die unseren jungen Leuten etwas sagen konnten aus der englischen Erfahrung. Da kamen auch teilweise Lehrkräfte aus England, die uns, und auch Gewerkschafter, die uns dann geschult haben.
Nun war ich also Sekretär, das heißt also, man hat mir zugemutet, dass ich auch in die Betriebe gehen kann, um die Beschäftigten zu betreuen. Das heißt, ich war zuständig dann für die Betriebe der Süßwarenindustrie und der Zigaretten- und Tabakindustrie in Berlin sowie für die Milch... Milchindustrie und natürlich für Frauen und Jugend. Das war ja mein Feld von Hause aus. Und zu der Betreuung der Betriebe gehörte natürlich, häufig in die Betriebe zu gehen, sowohl sich die Einrichtung anzusehen, die Arbeitsabläufe kennenzulernen und zu wissen, wie man das zu ... die zu beurteilen hat, als auch Verhandlungen zu führen mit den Geschäftsleitungen oder Tarifverhandlungen zu führen und auch auf den Betriebsversammlungen aufzutreten und zu sagen, wofür die Gewerkschaften stehen. In meiner ganzen Tätigkeit, die ich in Berlin als Sekretär bis 1970 durchgeführt habe, habe ich eigentlich alle Betriebsversammlungen, wenn’s nur irgend ging, besucht und nach dem Betriebsverfassungsgesetz sollten ja die Betriebsversammlungen seinerzeit viermal im Jahr stattfinden. Ich weiß, dass sie heute manchmal nur einmal im Jahr stattfinden, vielleicht mal zweimal, aber ganz selten wird das vielleicht so genau genommen, wie es mal ursprünglich vorgesehen war. Und ferner ist es nicht immer üblich, dass die Gewerkschaftssekretäre dort sind, oder vielleicht anwesend sind, aber nicht immer sprechen. Ich hielt es aber für ein sehr gutes Instrument, eine Gelegen…. die Gelegenheit zu nehmen, um zu den Beschäftigen zu sprechen und ihnen zu sagen, wofür die Gewerkschaften jeweils eintreten. Natürlich musste man dabei das Betriebsverfassungsgesetz achten. Es ... Man konnte jetzt keine politische Werbung betreiben. Man konnte nicht für irgendeine Partei sprechen, sondern man sollte darüber sprechen, was eventuell die gesetzlichen Regelungen für Auswirkungen auf den Betrieb haben, oder welche Rechte ein Betriebsrat hat, um die Anliegen der Beschäftigten zu unterstützen. Darüber konnte man reden, oder man konnte auch sprechen über den grade abgeschlossenen Tarifvertrag, um den zu erläutern. Und das finde, ist doch sehr wichtig, damit die Leute auch wissen, wie das eigentlich funktioniert und woher das kommt. So Verträge kommen ja eben nicht vom Himmel, sondern die werden ja schwer verhandelt und manchmal über längere Zeiten, bis sie zum Abschluss führen. Man muss auch sagen, warum das eine oder andere nicht gelingt, damit man weiß, wofür man das nächste Mal eintreten muss. Das sind ja alles Dinge, die man doch schon etwas den Beschäftigten nahe bringen muss und deswegen finde ich Betriebsversammlungen als eine ganz besonders wichtige Angelegenheit. Und das habe ich während meiner Tätigkeit auch immer so beibe... beibehalten. Bei Tarifverhandlungen war es natürlich der Zuständigkeit des Landesbezirksvorsitzenden überlassen, diese zu führen, und als Sekretär war man mit dabei und machte die Vorarbeit, hat also die Berechnungen angestellt, wie die Entwicklung der Industrie in Zahlen aussieht, was kann man eventuell erreichen oder was sollte man erreichen, dann aber natürlich auch die einzelnen Lohngruppen zu ... anzusehen und dabei ging es ja nun erst mal um den Frauenlohn. Da bin ich also dann mit dem ... mit dem Problem des Frauenlohns in Berührung gekommen. Die Frauenentlohnung ist leider bis zum heutigen Tag nicht zufriedenstellend gelöst, aber seinerzeit sah also ein üblicher Tarifvertrag in den Industrien, nicht nur bei Süßwaren- und Zigarettenindustrie oder anderen Betrieben der Nahrungsmittelindustrie, sondern generell so aus, gelernt, angelernt, ungelernt, Frauen. Der Frauen … der Lohn für Frauen war ein Sammelbegriff für alle Tätigkeiten, ganz egal, wie qualifiziert die waren. Frauen bekamen einfach von Hause aus weniger als alle anderen. Und die Differenzen zwischen den letzten, also dem ungelernten Lohn und dem Frauenlohn, konnte durchaus 30, 35 % betragen. Heute ist man ja nach wie vor unzufrieden, weil die Differenz immer noch 20 % etwa beträgt. Es ist also ein kleiner Schritt voran, aber dieser kleine Schritt beruht nicht nur darauf, dass wir die Frauenlöhne generell mit der Zeit abschaffen konnten und ersetzen konnten durch Tätigkeitsmerkmale, sondern auch durch die Erläuterung, wie Tätigkeitsmerkmale zu beurteilen sind und zu gewichten sind. Das allerdings kam erst später in meiner Laufbahn, als ich Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes wurde.
Ja, ein ... ein Prozess geht eigentlich so ein bisschen schleichend, aber er wird immer schneller. Also die letzten Jahre sind wahrscheinlich wesentlich rasanter vorangeschritten als die damalige Zeit von den 70er, 80er Jahren, wo also die Technik eine größere Rolle spielte. Es gab ja dann auch Zeiten, wo wir nicht genügend Arbeitskräfte hatten, wo aber noch sehr viel Handarbeit involviert war und wo man dann Arbeitskräfte aus dem Ausland geholt hat. Wir haben bei unserer Gewerkschaft in der Zeit auch Türken nach Berlin geholt und nach Deutschland geholt für die Handtätigkeiten. Also man hatte zu dem Zeitpunkt noch Handarbeit, Fließbandarbeit, wo die Menschen zu 20, 30 Leuten an einem Band saßen und irgendetwas eingelegt oder rausgenommen haben, zusammengepackt und dann am Schluss kam es dann in größere Gebinde. Diese Arbeit haben dann mit der Zeit die Maschinen übernommen, die immer feiner wurden und mit denen man immer kompliziertere Arbeitsgänge tatsächlich vollführen konnte und bestenfalls die Menschen noch kontrollierten, ob das auch funktioniert, was die Maschine da machte, denn jede Maschine macht ja auch vielleicht mal 'n Fehler. Das war sowohl in der Zigarettenindustrie der Fall, wo wir sogar ganz früher Leute hatten, die haben den Tabak von den Rippen gezupft und späterhin machte das 'ne Maschine. Und damit sind immer weniger Menschen benötigt worden. Und die Gewerkschaften mussten sich Gedanken machen, wie können wir diesen Prozess auffangen, denn letztendlich sollen ja solche Prozesse nicht nur allein in die Gewinne der Unternehmer einfließen. Man muss ja einen Ausgleich schaffen, denn zum Schluss können ja nicht alle Leute ohne Arbeit sein. Irgend wovon müssen wir ja alle leben und irgendetwas muss funktionieren und kann nicht nur durch Maschinen erledigt werden. Also irgendwo müssen wir einen Ausgleich schaffen, müssen den Prozess ein bisschen in die Länge ziehen, das heißt, in die Länge ziehen durch Arbeitszeitverkürzungen, die damals eine Rolle spielten, wo unsere Gewerkschaft dann auch recht … eine der ersten war, die 40-Stunden-Woche durchgeführt hat und nachher weiter runterging bis 36 Stunden. Die andere Möglichkeit ist, den Urlaub zu verlängern, was auch in dieser Zeit geschehen ist. Es wurden Möglichkeiten geschaffen, noch eine Schichtfreizeit vorzusehen für Leute, die in der Schicht arbeiten, zusätzlich zu dem Urlaub noch Freizeiten zu entwickeln. Alles als Arbeitszeiten, die dadurch für die Möglichkeiten der Beschäftigung einen besseren Ausgleich geschafft haben bis hin zum finanziellen Ausgleich, dass man also Urlaubsgelder gewährte und alles das, was die Unter... Unternehmen sowieso gewonnen haben durch die Einsetzung von mehr und mehr gut funktionierenden Maschinen. Mit der Zeit bleibt das ein wenig auf der Strecke. Wir haben zwar heute schon noch bessere Computer und Arbeitsvorgänge, wo früher noch vielleicht immerhin 5 oder 6 Leute standen, steht heute noch höchstens eine Person, oder eine Person steht für 6 Maschinen. Das ist ein derartiger schneller Prozess, der da vonstattengegangen ist, dass man das gar nicht mit solchen Mitteln auffangen kann. Also man muss wirklich nach Wegen suchen, das etwas zu verändern. Man muss irgendein Mittel finden, um die Gewinne, die die Unternehmen da einstreichen, aufzufangen. Die stöhnen natürlich immer, steuerlich meinen sie, sind sie am Ende angelangt und Arbeitnehmer, wenn die dadurch arbeitslos werden, müssen ja letztendlich ein bisschen von der Arbeitslosenunterstützung leben, aber nachher fallen sie so oder so, egal ob mit Hartz IV oder ohne, wenn man Hartz IV abschafft, muss man wieder 'ne Sozialunterstützung zahlen, Versorgung muss es immer geben. Wir wollen ja nicht, dass die Menschen da auf der Straße bleiben. Also fragt sich doch, ist es berechtigt, dass die Arbeitnehmer die Verlierer der technischen Entwicklung sind, oder müssen wir etwas dagegen oder dafür tun.
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Ruth Köhn wurde am 26. Dezember 1927 in Berlin geboren. Nach dem Abitur 1946 absolvierte sie eine Lehre als Stenotypistin und besuchte das Abendseminar der Hochschule für Politik Berlin. Seit 1948 Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), arbeitete Köhn ab 1949 dort hauptamtlich und wurde 1951 Gewerkschaftssekretärin für die Fachgruppe Süßwaren, Tabak und Milchwirtschaft sowie Frauen, Jugend und Bildung. Zwischen 1970 und 1988 war sie Mitglied des Geschäftsführenden NGG-Hauptvorstands, erst zuständig für Jugend, Berufsausbildung und Frauen, dann für Sozialpolitik, Frauen, Arbeitsrecht und Internationales. Von 1980 bis 1992 war sie Mitglied des Verwaltungsrats bei der Bundesanstalt für Arbeit, zwischen 1980 und 1993 ebenso der Vertreterversammlung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.

Köhn ist Mitglied der SPD.

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