Helga Hirsch

Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Audio 1 – 2:00
Arbeiter_ini
Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)i
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)i
Duales Ausbildungssystemi
Betriebsrati
Mindestlohni
Audio 4 – 1:53
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Bildungi
Gleichstellungi
Mitgliederwerbungi
War dann da mit im Gesangverein und äh, bin ganz früh als Dreizehnjährige dann in die Falken eingetreten, äh, in die sozialistische Arbeiterjugend da, und hab da schnell Funktionen gehabt, hab Jung-Falken-Gruppen geleitet und solche Sachen gemacht. Äh, und bin dann äh, durch die Falken dann auch, äh, ja politisiert worden, muss man sagen und bin dann mit, mit der KPD in Berührung gekommen, die damals ja illegal war. Und äh, habe dann äh, bin dann auch in die SPD noch eingetreten und auch in, bei den Jungsozialisten, da bin ich aber nach’m halben Jahr wieder ausgeschlossen worden bei beiden, weil ich mich am Ostermarsch beteiligt hatte, und das gab damals noch ’n Beschluss, äh, dass äh, man nicht sich am Ostermarsch beteiligte. Ein Jahr später hat man’s dann gemacht, weil da war die Bewegung schon weiter, größer geworden, da hat man dann wohl überlegt in der SPD, nein, wir müssen ja wohl doch mitmachen. Und äh, dann hat man versucht, mich wieder in die Partei reinzuholen, wie man dann mitkriegte, dass mein Vater ’n führender Sozialdemokrat war. Äh, und das hat für mich dann noch mehr ausgelöst, dass ich mit der Partei also dann nichts mehr zu tun haben wollte, ne. Also da hab ich dann also ’n Schlussstrich für mich auch gezogen. Ich bin dann aber noch bis 1964 bin ich dann noch, äh, in, bei den Falken gewesen. Dort war ich immer noch aktiv. Zu denen hab ich heute noch Kontakt, also das hat sich irgendwie über die ganzen Jahrzehnte gehalten, weil die Ost-Westfalen-Falken waren immer so die linkste, die am linksten (pocht wiederholt auf den Tisch) waren in dem ganzen Bereich und äh, wir waren immer so’n bisschen ’ne ausgefallene Gruppierung dort. Ich weiß noch, dass wir uns getroffen haben und so ungefähr die Weltrevolution ausgerufen haben. (lacht) „Morgen gehen wir kämpfen!“ Diese Phasen waren natürlich schnell vorbei dann hinterher, also wurden wir von der Realität dann eingeholt, ne.
Also wir waren am Anfang so, ich sag mal vielleicht 20 Mitglieder und so nach einem Jahr waren wir um, an die 300. Das war für so’n kleinen Bereich, der ganz neu war, war das enorm. Und zwar haben wir das erreicht, indem wir äh, ja uns in die Prüfungsverfahren eingeklinkt haben. Also die Kolleginnen ganz früh (pocht wiederholt auf den Tisch) versucht haben zu kriegen. Und wir haben ihnen dann angeboten, äh, sie auf die Prüfungen vorzubereiten, also auf die Gesellenprüfungen. Und das haben die natürlich mit Begeisterung angenommen, weil, äh, in dem Beruf landen ja häufig, äh, junge Frauen, die es in der Schule nicht so leicht gehabt haben, die häufig Schwierigkeiten mit Rechnen oder mit Politik und solchen Fächern haben. Und dann sagen die Eltern, „Ach, Friseurhandwerk, das kann jeder lernen, ne.“ Wobei das gar nicht so leicht ist, weil Chemie ist stark gefragt. Es hatte, fing sich ja damals an grade zu entwickeln und äh, man musste schon also bestimmte Kenntnisse haben, um da also die Prüfungen zu bestehen. Und das, es war ’ne Durchfallrate damals von fast über 50 Prozent (pocht auf den Tisch) der Leute, die dort, äh, das Handwerk gelernt haben, die fielen alle bei den Prüfungen dann bei den, häufig in der Theorie dann durch. Praktisch konnten sie das, aber in der Theorie war das nicht dann zu schaffen. Und da haben wir unser Hauptaugenmerk, und da haben wir die meisten Leute gewonnen.
Ja, ja, man hat ja in, in solchen Betrieben, äh, viele, ja auch, also Betriebsratsarbeit setzt sich ja nicht nur mit betrieblichen Problemen, sondern man ist ja so ’ne soziale Anlaufstelle. Und ich, äh, war immer so eigentlich das, der sozial Zuständige. Wenn es irgendwelche Probleme gab im persönlichen Bereich, dann kamen die Kollegen immer zu mir. Ich weiß nicht warum, ich hatte ja schon sehr früh weiße Haare, dass sie da immer gedacht haben, ich bin da die Kompetente, mag absolut sein, also... Aber ich hatte immer... Und alle Kollegen schoben das auch immer gerne auf mich ab. Also „Mach du mal, ne.“ Und äh, und deswegen war ich in vielen privaten Bereichen auch mit drin, sei es, dass die Kollegen hoch verschuldet waren und äh, also wir haben sehr viel dramatische Lebenssituationen und Umstände gehabt von Kollegen, ne, also von einem Selbstmord in der Oberstraße, wo eine aus’m, bei uns rausgegangen ist, auf’n Flur und sich aus’m Fenster gestürzt hat und tot war bis zu, äh, Sachen, wo sich ’ne Kollegin stundenlang in ’ner Toilette eingeschlossen hat und die Kollegen mich dann geholt haben und ich musste dann kommen und musste sie dann überreden, aus der Toilette rauszukommen und all solche Sachen, ne. Oder Kollegen, die aufeinander losgegangen sind, weil der Stress so stark war, dass sie dann, sich dann gegenseitig geprügelt haben und dann musste ich da wieder hin und das wieder klären und, also solche Fälle nehmen einen großen Teil der Betriebsratstätigkeit ein. Und die sind in Frauenbetrieben, habe ich so die Erfahrung gemacht, doch sehr viel stärker als teilweise, die Männer gehen anders miteinander um in Konflikten. Also die Männer brüllen sich an und dann sind sie wieder, dann ist das vergessen und ist vorbei. Und Frauen sind nachtragender. Da wird das also, läuft das subtiler. Ja, ich kann das gar nicht so richtig beschreiben, also das muss man einfach erleben, das ist schwieriger, da ’n Konflikt zu lösen. Da braucht man sehr viel Feingefühl und man ist eigentlich mehr ’n Sozial-, man ist eigentlich alles, Psychologe und Sozialberater und ich hab Familienberatungen gemacht und, und äh, bin mit denen zur, zur Verbraucherzentrale oder bin mit denen zur Rechtsberatung gegangen oder hab sie zur Schuldnerberatung geschickt, weil sie dann ankamen und ’ne Hausarbeiterin mit vier Kindern verdiente ’n Mindestlohn von, ich sag mal vielleicht 8-, 800, 900 Euro und äh, ist verschuldet mit 85.000 Euro, weil, ja, weil sie bei ihrem Mann alles unterschrieben hat und wie er pleite gegangen ist, hat, ist er abgehauen. Also solche Sachen haben, haben wir da erlebt. Und äh, das hat natürlich die ganze Arbeit auch stark geprägt, ne. Weil dieser soziale Teil, der ist sehr stark in der Arbeit. Also man ist als Betriebsrat und besonders als weiblicher Betriebsrat sage ich, eher in dieser Situation, dass man so, wie so’n seelischer Mülleimer wird.
Meine erste Gewerkschaftsschulung habe ich gemacht, werde ich nie vergessen, eine, meine allererste war eine Schulung vom DGB, von der ich heute noch profitiere, „Technik der geistigen Arbeit“. Da hab ich gelernt, wie, wie liest man Gesetze, wie geht man da vor, also dies selektive Lernen, was ’n Student eigentlich können musste noch als Studium, das hat damals die Gewerkschaft angeboten. Das war meine allererste Schulung. Da war ich die einzige Frau. Und ich war, äh, danach auf den Gewerkschaftsschulen eigentlich immer, im Regelfall alleine als Frau. Das kam erst so nach (pocht wiederholt auf den Tisch) so ich sag mal so 1982/83, da fing das an, dass ’n paar mehr Frauen in diese Positionen auch reinkamen und die dann auch mal zu Gewerkschaftsschulungen fuhren. Aber ich weiß noch, meine erste Schulung habe ich hier, Mitglied im Wirtschaftsausschuss, da war denn, war ich nur mit Hafenarbeitern zusammen. Also es war denn furchtbar, da hab ich mich abends eingeschlossen, da waren also abends ’n Trinkgelage, hier in der Heide war das. Das werde ich nie in meinem Leben vergessen, ne, also das... Und dann vierzehn Tage, also das war ’n Albtraum. Und das hat sich dann aber zum Schluss, zum Glück, äh, hinterher doch verändert, nachdem also mehr so auch besonders auch nachdem, äh, äh, mehr so Großbetriebe dann auch von Frauen, äh, direkt in den, in den, ja ich sag mal in den Vorgesetzten-Positionen dann also auch besetzt waren. Dann waren auch mehr Frauen auf den Schulungen, ne. Es war ja häufig, es war bei uns im Betrieb immer noch so, dass, äh, wenn wir Werbung machten für die Gewerkschaften, die gesagt haben, „Ja, mein Mann ist doch in der Gewerkschaft.“ Ich sag, „Ja, das nützt dir gar nichts, ne. Ob dein Mann in der Gewerkschaft, deswegen bist du da nicht vertreten dann, ne.“ Das war so dieses Denken, das war ganz schwer, die Frauen am Anfang, äh, zu motivieren, dass sie überhaupt sich selber mal um ihre Belange kümmern müssen.
Und dann ist, äh, durch die aktive Politik eben, während der Sparrunden, wo, wo der Hamburger Senat ja ständig eingegriffen hat, wo immer Geld, wir haben ja massenhaft, Millionen mussten wir ja abgeben und das wurden ja immer mehr rationalisiert und durchstrukturierter Betrieb. Dann wurden die Flächen neu aufgemessen, dann wurden die Hausarbeitsstunden gekürzt und dann wurden, wurde ja die Extra-Firma eingerichtet, die VKSG, ne, wo die ganzen Hausleute beschäftigt waren, die dann sehr viel schlechter verdienten als vorher. Aber immer noch besser als in der, auf dem freien Markt und äh, dann haben sie in den, haben sie die Gruppengröße vergrößert, dann haben sie, sind sie an das Gehalt der Leute rangegangen, und da gab’s ja viel Bewegung. Also da waren, haben wir auch teilweise ’ne Woche gestreikt, äh, was, haben wir große Streikaktionen gehabt, also mit Angriffen von Eltern in Steilshoop, ich war damals in der Streikkomission, musste dann rumreisen mit’m Megafon immer vor jeder Kita da ’ne Rede halten. Da kam ich in Steilshoop an, da hatten sich die Kollegen alle im Keller eingeschlossen, weil draußen da so’n besoffener Vater stand und denen die Hucke voll hauen wollte, weil ja sein Kind nicht in die Kita konnte. Und ich hatte zum Glück zwei so, äh, damals so Praktikanten, die waren so große stämmige Männer, selten, ich hab immer Männer als Praktikanten gehabt, und die hatte ich mitgenommen. Die hab, ich hab gesagt, „Wollt ihr nicht mit?“ – „Ja, machen wir gerne, wir gehen mit, ne. Wir passen auf dich auf.“ Und dann haben die, ich bin ja nun schon groß, aber die waren noch größer als ich, und die standen da wie so Bodyguards hinter mir, und da hat er, ist er abgehauen, da hat er Angst gekriegt. Und dann hab ich erst mal die Kollegen aus dem Keller befreit. Hatte der Heimleiter sie eingeschlossen, weil der Angst hatte, pfff, vor den Leuten. (lachend) Also solche Situationen. Da waren wirklich, fast alle Kitas haben da gestreikt, ne. Haben zugemacht, saßen vor der einzelnen Kita und wir sind dann rumgereist und haben dieses Ganze dann irgendwo begleitet, ne.
Herunterladen Drucken

Helga Hirsch wurde 1944 im niederländischen Zwolle geboren und wuchs in Bielefeld auf. Nach der Schulzeit begann sie eine Ausbildung zur Friseurin und Perückenmacherin. Schon in jungen Jahren wurde sie Mitglied der Falken und dort Jugendleiterin. Aus der SPD wurde sie wegen ihrer Beteiligung am Ostermarsch ausgeschlossen. Sie trat daraufhin der verbotenen KPD bei, später war sie an der Gründung der SDAJ und der DKP in Hamburg beteiligt, aus der sie 1988 wieder austrat.

1965 zog Hirsch nach Hamburg, wo sie erneut als Friseurin arbeitete. Sie wurde Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), organisierte den Aufbau einer ÖTV-Gruppe für den Bereich Friseurhandwerk und war u.a. Gesellenvertreterin in der Prüfungskommission.

1971 nahm sie eine Stelle in einer Hamburger Kita an, kurz darauf wurde sie Betriebsrätin und bald stellvertretende und freigestellte Betriebsratsvorsitzende der Vereinigung städtischer Kinder- und Jugendheime. Nach einer 1981 begonnenen Ausbildung zur Erzieherin arbeitete sie bis 1997 in diesem Beruf. Sie wurde erneut in den Betriebsrat gewählt und war von 1997 bis 2005 freigestellt. 2003 wechselte sie zur Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Hirsch schloss sich 2009 der Partei Die Linke an, wenig später wurde sie Mitglied des Bezirksvorstands Hamburg Nord und des Landesvorstands Hamburg. Helga Hirsch ist am 6. Juni 2015 gestorben.

Herunterladen Drucken