Franziska Wiethold

ver.di
ver.di
Video 1 – 7:00
Aufsichtsrati
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)i
Ehrenamti
Video 2 – 5:41
Unternehmeni
Konsum/HOi
Nomenklaturai
Ehrenamti
Video 3 – 6:51
Wirtschaftswunderi
Ahlener Programmi
Mitbestimmungi
Arbeiter_ini
Godesberger Programmi
Duales Ausbildungssystemi
Betriebsverfassungsgesetzi
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)i
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)i
Ich musste relativ wenige Wochen vor dem Gewerkschaftstag, der war im November, musste ich plötzlich für eine andere Funktion antreten, weil der damalige stellvertretende Vorsitzende von jetzt auf gleich zurücktreten musste, weil irgendwie rauskam, dass er wohl nicht ganz ordnungsgemäß seine Aufsichtsratstantiemen abgeführt hatte, und der war als stellvertretender Aufsicht… Vorsitzender gleichzeitig zuständig für die Kernbereiche HBV Einzelhandel und Tarifpolitik. Der trat zurück und dann kam die Diskussion, wer geht jetzt an die Stelle. Ich sollte eigentlich andere Ressorts bekommen und dann wurde ich vorgeschlagen, und die Mehrheit der Landesleiter war gegen mich. Die Landesleiter waren bei HBV sehr mächtig unter anderem, sie waren gewählt und sie waren zuständig für die regionale Tarifpolitik des Einzelhandels, und das war sozusagen das Kernstück der alten HBV. Und dann wurde ich vorgeschlagen von Ehrenamtlichen, auch von Lorenz Schwegler, und die Mehrheit der Landesleiter war gegen mich, außer dem … meinem guten Freund aus Nordrhein-Westfalen, mit dem ich ja viele Jahre zusammengearbeitet hatte. Und da hatte ich schon den Eindruck, das schaffe ich nicht gegen diese Machtriege, wenn ich für Tarifpolitik im Einzelhandel zuständig bin, dann muss ich mit denjenigen ja sehr eng kooperieren, die ja faktisch die Tarifverträge machen und verhandeln und abschließen. Und da hab ich gedacht, das schaff ich nicht. Also das steh ich nicht durch und hatte sowieso so ein etwas ambivalentes Verhältnis gegenüber solchen Führungsfunktionen, weil ich halt auch eher ängstlich und so ein bisschen individualistisch bin und nicht so die Führungsfigur gerne bin. Na ja, und dann wurde ich aber trotzdem gewählt und, die Ehrenamtlichen waren mehrheitlich anderer Meinung, und wurde auch durchaus von einer ganzen Reihe von GBR-Vorsitzenden unterstützt, die mich auch über die Arbeit in den neuen Bundesländern kennengelernt hatten, wurde dann also gewählt und hab mich dann doch mit allen Schwierigkeiten, aber so ganz allmählich durchgebissen und hab dann auch das Vertrauen dieser Landesleiterriege doch langsam gewinnen können, mehr oder weniger gut. Das war für mich eine sehr harte Zeit, weil ich eigentlich mich doch von dieser Rolle etwas überfordert fühlte. Und da war für mich aber die Unterstützung durch Margret vor allen Dingen sehr wichtig, die damals ja dann stellvertretende Vorsitzende wurde von HBV und dann, kaum dass wir uns, ich mich so ein bisschen gefangen hatte, kam dann diese große Krise HBV. Es kam raus, dass wir finanziell große Probleme hatten, uns finanziell übernommen hatten und durch den Aufbau neue Bundesländer auch sehr große Defizite hatten, bei einer Gewerkschaft, die kein Vermögen hatte, war das existenziell. Eine politische Krise, weil es sehr große Auseinandersetzungen gab, Modernisierer gegen Traditionalisten. Das machte sich sehr stark an der Person des damaligen Vorsitzenden Lorenz Schwegler fest als Modernisierer, und ich kannte Lorenz über lange Jahre eigentlich sehr gut auch schon aus der DGB-Zeit und schon einer der klügsten, aber in manchen Fragen war ich politisch mit ihm nicht mehr so ganz einig, und dann kam dieser … wurde dieser Konflikt so … brach er so aus, dass eben Ende 93 Lorenz Schwegler und Hans-Georg Stritter zurücktraten und es blieb ein GHV, bestehend aus drei Frauen und einem Mann, übrig und das war hart. Margret wurde amtierende Vorsitzende und wir haben damals häufig zusammengesessen und uns gefragt, ob wir das schaffen, denn HBV hatte wirklich alle Krisen auf einmal, eine tiefe Vertrauenskrise, weil diese Finanzgeschichten nicht offengelegt waren, eine tiefe Vertrauenskrise durch diese politischen Auseinandersetzungen, dann eben wirklich das riesige finanzielle Problem, wo wir richtig hart sparen mussten, wir mussten Personal abbauen, es gab keine klaren, transparenten Finanzstrukturen. Es war wirklich schrecklich! Mit einem Riesenmisstrauen bei den Haupt- und Ehrenamtlichen und dann eine Haltung bei vielen linken Hauptamtlichen, ich glaube auch bei Ehrenamtlichen, aber vor allen Dingen bei linken Hauptamtlichen, das können Frauen nicht wuppen. Da braucht man eine starke männliche Führung, die sagt, wo’s lang geht, die Margret auch völlig unterschätzt haben und das war eine der härtesten Phasen in meinem Leben, als wir dann als vier kontinuierlich mit vielen Schwierigkeiten HBV finanziell sanieren mussten, sehr harten Einschnitten, betriebsbedingten Kündigungen in den neuen Bundesländern, das damals ein absolutes Tabu für die Gewerkschaften war, dass man so was machen muss, mit einer Umstrukturierung von HBV, also Dezentralisierung für Verantwortung, Transparenz bei den Zahlen, Controlling-Systeme, die damals, also Controlling, das war ja Sache des Klassenfeindes, doch nicht in einer Gewerkschaft, da entscheidet man politisch. Ja, das war genau das Problem, häufig politisch entschieden und dann war das Geld weg. Und da muss ich sagen, hat Margret eine Führungsstärke entwickelt in dem Durchhalten, aber nicht Durchkacheln, sondern Diskussionsprozesse organisieren, unterschiedliche Meinungen zusammenbinden und dann wird entschieden und dann wird aber auch durchgesetzt. Das hab ich unglaublich bewundert, und wir haben Schritt für Schritt zusammen auch mit dem einzigen Kollegen, der „übriggeblieben“ war, Finanzen und Personal gemacht hat und eine unglaublich starke Bastion bei uns war, der immer gesagt hat, ich halt euch den Rücken frei, damit ihr Gewerkschaftspolitik machen könnt, und ich sorge dafür, dass die Zahlen endlich stimmen und dass hier Transparenz einkehrt und wieder … wir wieder Boden unter den Füßen bekommen. Das waren sehr harte Jahre, aber auch sehr lehrreiche Jahre und ich muss im Nachhinein noch sagen, dass wir das so geschafft haben, grenzt, ja ich weiß es nicht, ob’s an ein Wunder grenzt, aber es hätte auch anders kommen können. Es war manchmal wirklich Spitz auf Knopf. Also vor allen Dingen dieses Führungsbild, was es damals noch in allen Gewerkschaften gab, und wenn in einer Krise dann nicht die ... der starke Mann da oben steht, uiuiui. Da hab ich auch gedacht, Gott sind die alle links und fortschrittlich. Aber das kommt in Krisen immer raus. Da regredieren die Menschen und haben dann Führungsbilder plötzlich …
1989 Fall der Mauer, Anfang der 90er, Anfang 90 haben dann alle Gewerkschaften beschlossen, dass sie Beratungsbüros in der damaligen DDR einrichten pro Bezirk, das war relativ grob, als ein Beratungsbüro in den jeweils 15 Bezirken, die es damals in der DDR gab und dort versuchen, neue Gewerkschaften aufzubauen, weil also klar war, die alten Gewerkschaften werden, ich sag’s jetzt mal mit diesem schrecklichen Wort, abgewickelt und wir müssen jetzt relativ schnell neue Gewerkschaften aufbauen, und da hab ich sofort gesagt, ich muss da hin. Was manche gar nicht verstanden haben, dass man da freiwillig hingeht, viele haben gesagt, oh Gott, und dieses Volk, was nur die D-Mark will, das wollen wir nun gar nicht sehen, und ich bin dann ausgerechnet auch noch nach Leipzig gekommen, also nicht grade das einfachste Pflaster. Plötzlich war ich nur von Helden und Widerstandskämpfern umgeben, ganz Leipzig war Held und Widerstandskämpfer, das war ein bisschen schwierig manchmal, aber ich wollte es, ich wollte es wirklich wissen. Ich wollte wissen, weil ich dieses ganze DDR-Problem im Grunde genommen immer verdrängt hatte aufgrund meiner politischen Vorgeschichte und dieses schrecklichen Antikommunismus, wollt ich jetzt endlich wissen, wie dort die Strukturen sind, was in diesem Land hinterlassen worden ist, und ich wollte natürlich auch sozusagen an diesem Neuaufbau der unglaublichen Möglichkeiten – auch ein Exerzierfeld auch für uns war, es klingt sehr bös, aber es war für viele so – erleben und bin dann ja auch geblieben, also jetzt nicht in Leipzig, sondern hab dann in diesem Außenbüro der HBV Hauptverwaltung bis Ende 92 gearbeitet, war also insgesamt über zwei Jahre bin ich dann so ein bisschen gependelt, aber eine von den vielen West… ausgeliehenen Westbeschäftigten, und wir haben dann zusammen mit vielen andern diese neuen Gewerkschaftsstrukturen aufgebaut. HBV hat eine andere Politik gemacht als IG Metall oder andere. Sie haben … wir haben relativ viele von den bisher Beschäftigten auch eingestellt, die haben eine Chance bekommen, weil wir eigentlich auch sehr pragmatisch gesagt haben, an der Stunde null anzufangen, war immer schon eine Illusion und wenn die die Wahlen, sie mussten alle in örtlichen Mitgliederdelegiertenversammlungen gewählt werden, und wenn sie dort das Vertrauen der Ehrenamtlichen aus den Betrieben bekommen, dann akzeptieren wir das. Das war sicherlich nicht in allen Fällen immer so richtig gut, weil ich natürlich erst hinterher mitbekommen habe, dass auch in vielen Betrieben noch die alten Strukturen geherrscht haben, aber es war zehnmal besser als das, was andere Gewerkschaften gemacht haben, die gesagt haben, keiner von den Alten, wir fangen nur mit neuen Leuten an und da kam dann diese ganze Riege an völlig unerfahrenen und zum Teil auch übriggebliebenen Westleuten und vor allen Dingen diese Haltung, das sind alles … alle, die in den Gewerkschaften, Einzelgewerkschaften gearbeitet haben, sind Teil des bösen Systems. Also ich hab da wirklich auch Abbitte getan gegenüber meiner sehr harten Haltung im Umgang mit Diktaturen. Also ich finde, dass man auch Leuten eine Chance geben muss, die nicht die Helden waren und im Widerstand waren. Wir sind nicht alle dazu geboren, Helden und Widerständler zu sein, abgesehen davon, dass man in so einem Land immer mit denjenigen anfangen muss, die noch da sind. Die großen Unternehmen haben reihenweise Leute aus der hohen Nomenklatura eingestellt und haben sich überhaupt nix drum geschert, ob das jetzt Banken oder Versicherungen waren oder sonst was, weil die gesagt haben, wir brauchen Leute, die internationale Erfahrung haben und die die Altstrukturen kennen. Und internationale Erfahrungen hatten nur Leute aus der Upperclass der DDR-Hierarchie. Also das war für mich eine, diese zwei Jahre sehr hart. Privatisierung des Handels hab ich wesentlich mit begleitet, das war schon ein sehr hartes Brot wie da unglaublich hohe Hoffnungen auch enttäuscht worden sind, weil wir alle dachten, na ja, die Industrie, die wird Schwierigkeiten haben, aber der Einzelhandel ist eher unterentwickelt, eher zu einseitig, etwa der Konsum oder HO, da wird sich eine Vielfalt ergeben, die auch den Menschen, die jetzt im Einzelhandel arbeiten, eine Chance geben. Wir wussten ja, dass die Filialen überbesetzt sind, aber wir dachten, na ja, die finden dann woanders, und wir haben aber nicht eingeschätzt, mit welcher Geschwindigkeit die Discounter sich hier breitgemacht haben, wirklich in jeder Baracke irgendein Laden aufgemacht haben und dann mit sehr, sehr schwierigen neuen Strukturen angefangen haben, wo die alten Strukturen doch sehr zerstört wurden. Das war sehr bitter. Wir haben da heftig vor gewarnt, dass die Innenstädte kaputtgemacht werden und auf der grünen Wiese, also da war wirklich überholen ohne einzuholen (lacht leicht) in der Einzelhandelsstruktur. Wir haben gewarnt. Die Kommunen mussten das alles genehmigen, sie hätten das alles verhindern können, aber die Gier war so groß, jedem sein Einkaufszentrum und die fatalen Folgen haben wir dann hinterher gemerkt. Also wir haben sie nicht gemerkt, das war eine Krise, die sehr gut vorausgesagt war. Wir haben damals wirklich versucht mit allen Mitteln, wir haben noch mit Biedenkopf geredet, der ja damals Ministerpräsident in Sachsen war, der ja ein kluger Mann war, und der hat nur gesagt, ja, das muss die Marktwirtschaft richten. Und dann gab’s ja die ganzen Pleiten auch hinterher.
Also wir lebten natürlich sehr stark in der Kritik gegen dieses doch sehr gesettelte, fast erstarrte System und waren natürlich auch relativ stark beeinflusst von dem Bruch nach 45 mit den großen Hoffnungen, die ja auch in der SPD eine große Rolle gespielt haben, dass man jetzt nicht nur mit dem Faschismus bricht, sondern auch mit dem Kapitalismus. Also es gab in der damaligen Theorie doch die Auffassung, dass Kapitalismus und Faschismus relativ dicht zusammenhängen. Also bei unseren Demonstrationen gab’s eben diesen Spruch, den wir immer skandiert haben: Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muss weg! Im Nachhinein wirklich ziemlicher Blödsinn, aber als sozusagen Zwangsläufigkeit und dieser gescheiterte Kampf um die Neuordnung der Wirtschaft, um Wirtschaftsdemokratie, um Sozialisierung, um Zurückdrängung von kapitalistischer Macht, der ja in 45 begonnen und dann letztlich in den 50er Jahren gescheitert ist, der hat uns natürlich sehr stark geprägt als eine verpasste Chance, als die Gefahr, dass sich jetzt wieder eine Macht aufbaut, die diese faschistischen Gefahren vielleicht wieder beinhaltet und dann kam etwas Zweites dazu, diese unglaubliche Stabilität in diesem Land durch das Wirtschaftswunder. Also soweit ich es weiß, war ja auch die SPD und Teile der CDU, Ahlener Programm, zutiefst davon überzeugt, dass man vernünftige Arbeits- und Lebensbedingungen, also Hunger, Wohnungsnot nur bekämpfen kann und vernünftige Bedingungen durchsetzen kann, wenn man auch wirtschaftliche Macht zurückdrängt. Das war ja die große Auseinandersetzung um die Erhard’sche Wirtschaftsreform, wo viele gesagt haben, das wir schiefgehen, und diese Parallelität, der politische Kampf war verloren, es war klar, es bleibt nur beim Betriebsverfassungsgesetz, es gibt keine weitere wirt... wirtschaftliche Mitbestimmung darüber hinaus, es gibt keine Sozialisierung entgegen dem Grundgesetz und gleichzeitig gibt es einen ungeahnten Wohlstand. Damit sind wir politisch nicht klargekommen. Das haben wir auch nicht so richtig wahrhaben wollen, dass für eine Generation, die also in der Arbeiterschicht wirklich ja prinzipiell eigentlich nur Elend erlebt hat, bis auf die wenigen, wenigen Jahre des kleinen Aufschwungs in den 20er Jahren, also wenn ich mir angucke, wie da die ... die Väter oder Großväter der jungen Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir gearbeitet haben, gelebt haben und gearbeitet haben, ist mir im Nachhinein klar, welche Bedeutung dieses Wirtschaftswunder hatte, diese Chance, aus dem Elend rauszukommen, diese Chance, sich ein bisschen war was leisten zu können, das erste Auto, die erste Urlaubsreise und so weiter. Und das war für uns ein Stachel im Fleisch. Im Nachhinein finde ich das ziemlich schrecklich, dass wir das nicht wahrhaben wollten, sozusagen in dieser Kontroverse gegen die damalige CDU oder FDP, die gesagt haben, das ist eine notwendige Folge des Kapitalismus, und wir konnten es nicht wahrhaben. Und wir haben deswegen auch immer gesagt, Gewerkschaften sind wichtig und Lohnerhöhungen sind wichtig, aber sie dürfen keine Lohnmaschine sein, sie müssen mehr wollen. Und ich glaube, dass auch diese Generation Otto Brenner damit gehadert hat, dass sie gemerkt haben, sie haben die politische Schlacht verloren und da das Wirtschaftswunder kam, rückt dieses Ziel auch immer weiter weg. Also die Auseinandersetzungen ums Godesberger Programm, wo dann ja die SPD endgültig sich verabschiedet hat auch von diesen Sozialismusvorstellungen, war für uns ein Beispiel, es gibt eigentlich in diesem Land nie mehr … niemand mehr, der wirklich für eine antikapitalistische Perspektive kämpft, und da gibt es noch ein paar in den Gewerkschaften und das war Otto Brenner, aber der klug genug war zu wissen, das ist jetzt nicht grad Tagesaufgabe. Also im Nachhinein merke ich, dass ich diese Wirtschaftswunderphase, in der ich ja praktisch großgeworden bin als Nachkriegskind, also ich hab diesen Hunger und dieses Elend nie erlebt, ich hab auch nie mehr erlebt wie meine Geschwister, was es heißt, die erste Schokolade in die Hand zu bekommen durch amerikanische Soldaten. Damit bin ich großgeworden, aber ich hab erst im Nachhinein erlebt, welche unglaubliche Erleichterung für Menschen das war, nicht mehr jeden Pfennig umdrehen zu müssen, zum Beispiel auch diese soziale Absicherung, die durch Adenauer … unter Adenauer wesentlich durchgesetzt worden ist, Rentenreform, große Witwenrente. Ich hab das noch miterlebt, wie dann plötzlich die Kriegerwitwen nicht mehr von Almosen leben mussten, sondern eine eigenständige Existenz bekamen, die Krankenversicherung ausgebaut wurde. Das hab ich als Kind miterlebt, welche Erleichterung das für viele Familien war, aber ich hab es als Politikstudentin nicht richtig wahrhaben wollen. Da mussten wir immer erzählen, wie schlimm das System ist und das hat sich dann allerdings durch meine Gewerkschaftsarbeit auch bereits im Studium geändert, weil ich gemerkt habe, was das für Menschen bedeutet hat, wenn sie in Urlaub fahren konnten und dass das kein Konsumterror war. Was in Marburg weniger vertreten wurde, aber das war ja so ein bisschen die Adorno-Position, die Integration ins System über die Konsumindustrie, also diese Ablehnung des Konsums, wo eine gewisse Verachtung auch in Frankfurt bei Adorno gegenüber dem kleinen Glück der kleinen Leute war. Und ich hab durch die Gewerkschaftsarbeit eine unglaubliche Hochachtung bekommen, übrigens auch vor dem Berufsstolz der Facharbeiter, mit denen ich ja über die IG Metall zu tun hatte. Das waren ja alles Jugendliche in der Ausbildung und später Facharbeiter und dieses stabile Bewusstsein, die auch mit Studentinnen und Studenten ohne große Probleme klarkamen. Die haben gesagt, ja, ich hab einen qualifizierten Beruf, ich kann was, ja und du studierst, ist in Ordnung. Also was ja viele nicht so ganz ertragen haben, ne, also diese Stabilität auch innerhalb der … dieser Facharbeiterschaft, natürlich mit den ganzen Problemen des Ausgrenzens, also was weiß ich, Frauenthemen oder so was, das war damals noch nicht dran.
Herunterladen Drucken

Franziska Wiethold wurde am 23. Juni 1946 in Würzburg geboren. Von 1965 bis 1972 studierte sie Soziologie und Politik in Marburg, engagierte sich schon während ihres Studiums ehrenamtlich in der Jugendbildungsarbeit der IG Metall und arbeitete zwischen 1972 bis 1981 als Referentin für gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Düsseldorf. Als Fachsekretärin der Landesbezirksleitung Nordrhein-Westfalen der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) war Wiethold seit 1981 zuständig für den Bereich Einzelhandel. Sie wechselte 1990 in das Außenbüro Berlin der HBV-Hauptverwaltung und war von 1992 bis 1999 Mitglied des Geschäftsführenden HBV-Hauptvorstands mit der Verantwortung für Einzelhandel, Tarifpolitik sowie Gewerkschaftliche Bildungs- und Kulturarbeit. Zwischen 1999 und 2001 amtierte sie als 2. Vorsitzende der HBV und war von 2001 bis 2005 als Leiterin des Fachbereichs Handel Mitglied des Bundesvorstands der neuen Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, deren Gründung im März 2001 sie maßgeblich mit vorbereitet hatte.

Herunterladen Drucken